07.01.25 – Gastbeitrag: Zukunft des Einkaufens
Zur causa Retail Media: Jetzt mal Tacheles, Leute
Retail Media ist die berühmte Sau, die derzeit durch die Handelsbranche getrieben wird. Jeder denkt: Klasse, das ist eine neue Version des WKZs*, wir können neue Erlöse erwirtschaften. Jetzt aber die Frage: Ist das, was wir da präsentiert bekommen, wirklich neu? Oder wie sähe es aus, wenn es neu wäre? Diese Fragen beantwortet unser Gastautor, der Handelsexperte Frank Rehme.
Allen, die glauben, dass hier ein alter weißer Mann kommt und alles Neue schlecht redet, kann ich nur entgegnen: Wo ist das Neue? Kurz etwas zu meiner Historie in dem Thema, ich erlaube mir einen Ausflug in die Retail Archäologie: 2009 bin ich vom Popai-Verband (Point of Purchase Advertising International) gefragt worden, ob ich in meiner damaligen Funktion als Metro Innovationsmanager einen Arbeitskreis Digital aufbauen will. Konkret ging es um das Thema Digital Signage, das zu der Zeit sehr angesagt war.
Schnell habe ich gemerkt, dass dieses Thema in der Branche nicht sehr verbreitet war und auch das Wissen fehlte. Also habe ich mit Silke Reichenbach einen Podcast ins Leben gerufen, in dem wir News und Entwicklungen der Branche zum Thema machten. Die Versprechen waren groß: Du hängst dir einen Screen ins Regal, bewirbst die Produkte und verkaufst mehr. Oder du vermietest den Touchpoint an andere Werber und verdienst damit Geld.
Die Praxis in der Umsetzung
Dann kam die Realität: Der Händler gibt nicht gern Regalplatz her, in dem er margenstarke Produkte gegen einen Monitor tauscht. Hängt man diese über die Regale, sind sie außerhalb der Wahrnehmung, da die Shopper erfahrungsgemäß mit einem Winkel von 18 Grad nach untern schauen.
Nachdem wir bei Real die Walmart Filialen übernommen haben, waren in dem Paket auch Altverträge mit dem ach so berühmten Werbenetzwerk im Gepäck. Klasse, wir hatten endlich Autoreifenwerbung an der Fleischtheke, jenseits von jeder Kundenrelevanz.
Dem wollte Real dann entgehen und startete mit Echion einen Piloten, in dem Kameras die vor dem Monitor stehenden Menschen analysierten und angepasste Werbung ausspielten. Datenschutztechnisch okay, denn es wurden keine personalisierten Informationen verarbeitet. Trotzdem war eine Datenschutz NGO nicht weit und stellte einen Strafantrag, der natürlich ins Leere lief. Trotzdem hatte Real ein PR Desaster.
Was ist in den neuen Schläuchen?
Natürlich beobachte ich die Entwicklung in dem Bereich sehr intensiv, nur mit dem neuen Namen Retail Media. Ich sehe die gleichen Präsentationen wie damals, die Argumente sind oft auch dieselben. Es werden Storys von Walmart berichtet, die angeblich ganz viel Geld damit verdienen und eine super Marge damit rausholen. Es wird von einem fünffachen TKP berichtet und im Handel werden schnell Abteilungen gegründet, die sich damit beschäftigen.
Durch den 3rd Party Cookie Ban verschieben sich nun Werbemilliarden in neue Wege, da will der Handel profitieren. Aber was sehe ich gerade: Die Konsumgüterindustrie, die dem Handel genau dafür Geld überweist, beklagt sich bei mir, dass sie keine Zahlen über die Wirksamkeit bekommt. Bei der TKP Ermittlung fehlt also das T. Das Datenschutzthema ist ein Angriffspunkt: Auch wenn keine personalisierten Daten gespeichert werden, hat man Respekt vor einem Shitstorm a la Real. Die Gründe, warum die alten Netzwerke nicht funktioniert haben, sind immer noch dieselben.
So wäre es wirklich was Neues
Online Pure Player spielen das Thema schon seit Jahren und können die Kundschaft viel besser analysieren. Am stationären PoS braucht man ein gutes Zusammenspiel von Technologie und Daten. Das haben viele erkannt und daher geht man weg von Payback zu eigenen Loyalty-Programmen in Verbindung mit Apps, eigenen Bezahl-Lösungen, Gamification und einem digitalen Couponing. Lidl ist da sicherlich einer der Vorreiter. Warum das Sinn macht? Weil man so auf eigene Datentöpfe zurückgreifen kann, man ist in seinem eigenen Ecosystem. Wer sich mit KI beschäftigt, weiß, wie wichtig diese Grundlage für eine nahtlose Kundenaktivierung ist. Wenn man es schafft, eine Seamless-Integration dieser hinzubekommen, macht man wirklich nachhaltiges Retail Media und nicht das, was gerade präsentiert wird.
*WKZ: Werbekostenzuschuss