22.05.20 – Innerstädtischer Handel
Fragen an BBE-Experten Markus Wotruba
Landflucht, Filialisierung, Digitalisierung: Über aktuelle Entwicklungen und mögliche Lösungsansätze haben wir mit dem BBE-Experten Markus Wotruba gesprochen.
Elektromarkt: HDE-Studien zeigen, dass sich insbesondere der mittelständische, nicht-filialisierte Einzelhandel in kleineren Städten und Gemeinden oft in prekärer Lage befindet. Welche Aspekte sind es, die zu dieser Situation führen?
Markus Wotruba: Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum der mittelständische Handel unter Druck ist. Insbesondere in kleineren Orten. So sehen wir, dass die Bevölkerungsentwicklung seit 2008 sehr stark auf die Großstädte fokussiert ist. In vielen kleinen Gemeinden schrumpft die Bevölkerung dagegen – das bedeutet weniger Nachfrage. Kleine Läden sind für sich alleine nicht in der Lage, große Kundenzahlen anzuziehen. Sie sind keine Frequenzbringer, sondern Frequenznutzer. Erst die Mischung aus vielen kleinen Läden macht eine Lage attraktiv. Daher wird eine Einkaufslage mit jeder Schließung unattraktiver. Viele kleine Händler müssen aber schon aus Altersgründen schließen. Sie finden kein Personal und keinen Nachfolger – oft gibt es in anderen Branchen attraktivere Arbeitszeiten oder Gehälter.
Elektromarkt: Mit welchen Maßnahmen kann die Politik der Innenstadt-Verödung gerade mittlerer und kleiner Gemeinden entgegenwirken? Was kann der Handel selbst tun? Was der Verbraucher?
Markus Wotruba: Es gibt viele Möglichkeiten. Dabei ist es entscheidend, das Thema übergreifend zu sehen. Bei Innenstadt denken viele nur an Handel, vielleicht noch an Gastronomie. Es gehören aber auch Aspekte wie Arbeitsplätze, Freizeit und Wohnen dazu. Wer seine Volkshochschule, sein Arbeitsamt und sein Gymnasium am Stadtrand baut, kann daraus kein Potenzial für die Innenstadt gewinnen. Der Handel selbst muss viel mehr kooperieren. Er muss mit allen anderen Innenstadtakteuren zusammenarbeiten. Der Standort muss als ein großes Ganzes verstanden werden. Der Kunde selbst kann bewusst einkaufen gehen, anstatt möglichst billig irgendwo Waren nachzufragen. Ihm muss bewusst sein, dass anonyme Online-Händler aus dem Ausland keinen großen Beitrag zur Attraktivität seiner Heimatstadt leisten. Letztendlich wird der Kunde aber nicht aus Mitleid zum lokalen Händler gehen. Das Angebot muss schon stimmen.
Elektromarkt: Sie nennen Baden-Württemberg „als Idealbeispiel dafür, […] wie kleinere Gemeinden und Unternehmen damit umgehen können, wenn Transformationsdruck auf die ,heile‘ Handelswelt trifft“. Können Sie das Vorgehen skizzieren?
Markus Wotruba: Gemeint war hier der Ansatz des Wirtschaftsministeriums, den Schulterschluss zwischen allen Beteiligten zu suchen und gemeinsam in Workshops Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten. Alle waren dabei: Händler, Handelsverbände, kommunale Spitzenverbände, die Gewerkschaft Verdi, die Industrie- und Handelskammern. Es hilft ja nichts, wenn man Lösungsansätze hat, die Akteure aber nicht mitmachen. Baden-Württemberg ist ein Flächenland und hat viele kleine und mittlere Kommunen, die oft umsatzkräftige Unternehmen beheimaten. Das Geld ist deshalb weniger das Problem.
Elektromarkt: Wie sieht es in den anderen Bundesländern aus?
Markus Wotruba: Jedes Land ist unterschiedlich hinsichtlich der Raum-, aber auch der Verwaltungsstruktur und der verschiedenen Akteure. Im Endeffekt müssen Lösungen, die auf Bundesebene erarbeitet werden, auf Landesebene heruntergebrochen werden. Dann muss das Ganze in den Kommunen aufgegriffen werden, sodass lokale Lösungen entstehen. Nicht überall muss alles gleich gemacht werden. Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern haben beide Projekte angestoßen, die diesen Ansatz verfolgen. In Baden-Württemberg lag der Schwerpunkt auf Workshops. In Mecklenburg-Vorpommern waren umfangreiche Haushaltsbefragungen die Basis. Aber in beiden Ländern ging es darum, das vorhandene Wissen, etwa aus der Grundlagenstudie „Mögliche Auswirkungen des Online-Handels auf die Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren“, die wir mit dem Deutschen Institut für Urbanistik zusammen erarbeitet haben, auf das Bundesland anzuwenden.
Elektromarkt: Ihre Prognose: Wie werden sich die Innenstädte in den nächsten fünf Jahren verändern?
Markus Wotruba: Die Innenstädte werden sich weiter verändern. Der Einzelhandel bleibt bestehen. Je nach Stadtgröße und Rahmenbedingungen wird er aber mehr oder weniger Flächen für andere Nutzungen wie Freizeit, Gastronomie, Wohnen und auch Mikrologistik zur Verfügung stellen. Wir werden ganz neue Läden von Herstellern und Marken sehen, die bisher noch nicht in den Innenstädten präsent sind. Andere Anbieter werden verschwinden. Klar ist, dass der Online-Handel den stationären Handel befruchten kann und umgekehrt. Hierzu gibt es internationale Forschungsergebnisse, die wir im Auftrag der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) auch für Deutschland verifiziert haben. Ohne stationäre Läden kann man demnach sein Umsatzpotenzial als Händler nicht ausschöpfen. Unser Interviewpartner Markus Wotruba verbindet wissenschaftliche Expertise mit nachgewiesener Praxis- und Umsetzungskompetenz. Als Leiter der Standortforschung bei der BBE Handelsberatung GmbH, Lehrbeauftragter der Universität Würzburg, langjähriger Kooperationspartner der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen und Sprecher des AK Geographische Handelsforschung schlägt er die Brücke zwischen Theorie und Praxis.